Premiere im Großen Haus Baal Theaterstück von Bertolt Brecht
Regie: Jörn van Dyck Bühne und Kostüme: Klaus Hellenstein Dramaturgie: Hilke Bultmann Mit: Jan Gebauer (Baal), Ludger Haninger (Ekart), Ulla Willick (Emilie u.a.), Charlotte Ullrich (Sophie u.a.), Saskia Richter (Johanna u.a.), Norbert Entfellner (Johannes u.a.), Walter von Have (Mäch u.a.), Karl Heinz Glaser (Dr. Piller u.a.), Klaus-Peter Nigey (Junger Mann u.a.), Die Loungees (Baals Band) Premiere am 21. Mai 1998, 19 Uhr
Bertolt Brecht zum Hundertsten: Fast jedes Theater der Republik bringt in diesem Jahr seinen Brecht zur Aufführung; das Fernsehen zeigte zu Beginn des Jahres Mitschnitte besonderer Inszenierungen, alte und neue Dokumentarfilme zu Brecht, zu seiner Arbeit, seinem Leben; in Augsburg reißt die Veranstaltungswelle nicht ab, und in München wurde kürzlich mit BAAL und der DREIGROSCHENOPER gleich zwei Stücke an einem Haus herausgebracht. Und Ulm? Die Ulmer Brecht-Traditon ist in Erinnerung: Schon vor dem Bau des neuen Hauses machten Ulmer Theaterleute durch ihre gezielte Hinwendung zu Brecht auf sich aufmerksam: Peter Palitzsch inszenierte 1961in der Wagnerschule DER PROZEß DER JEANNE DARC ZU ROUEN 1435 - trotz oder gerade wegen des von der Springer-Presse im Kalten Krieg ausgerufenen Brecht-Boykotts. Seit der Eröffnung des Hauses an der Olgastraße mit LEBEN DES GALILEI ist Bertolt Brecht nach William Shakespeare der meistgespielte Autor am Ulmer Theater. Die bisher letzte Inszenierung, die DREIGROSCHENOPER, hatte 1991 Premiere. Im Brecht-Jahr 1998 wendet sich das Ulmer Theater mit zwei Produktionen dem Autor aus der Nachbarstadt Augsburg zu: Ende April hatte der Brecht-Liederabend der Schauspielerin Anita Iselin Premiere; knapp einen Monat später kommt nun auf der Großen Bühne Brechts frühes Stück BAAL in einer Inszenierung von Jörn van Dyck heraus. (Zum letzten Mal war dieses Stück 1983 in Ulm zu sehen.) Das Bühnenbild und die Kostüme wurden von Klaus Hellenstein entworfen. BAAL ist die 50. Arbeit, die Klaus Hellenstein für das Ulmer Theater macht. Gleichzeitig ist sie auch der Abschluß einer langen Ära: Klaus Hellenstein, der bisher Aussattungsleiter am Ulmer Theater war, wird das Haus zum Ende der Spielzeit verlassen, um fürderhin am Münchener Volkstheater tätig zu sein. Das Ulmer Theater hofft allerdings, ihn als Gastbühnenbildner auch weiter verpflichten zu können. Die titelgebende Hauptrolle hat Jan Gebauer übernommen, der in dieser Spielzeit u. a. mit Stelzfuß in THE BLACK RIDER aufgefallen ist. - Seite 2 -
Baal frißt! Baal tanzt!! Baal verklärt sich!!!" - mit der 1918 geschriebenen Szenenfolge BAAL wollte Brecht seinen ersten großen Wurf auf dem Theater landen. Zunächst als Stück über den französischen Balladendichter François Villon gedacht, schrieb Brecht mit BAAL einen gezielten Gegenentwurf zu einem anderen, damals aktuellen Stück: Hanns Johsts Grabbe-Drama DER EINSAME. Während Johst das Hohelied auf das unverstandene Genie, auf die eigenwillige Künstlernatur, auf die Empfindsamkeit des schöpferischen Menschen singt, zeigt Brecht die elementare Natur eines Individuums, das auf den Genuß besteht und gar nicht daran denkt, die Spesen des bürgerlichen Lebens zu bezahlen." (Werner Mittenzwei) Brecht richtet sich mit seinem BAAL gegen vieles: gegen das mystisch-durchgeistigte O-Mensch-Pathos" der Expressionisten, gegen dämonisierte Künstlergestalten, gegen den tradierten und von Brecht als falsch verstandenen Konflikt zwischen Kunst und Leben. Und - auch schon 1918, wenn auch noch nicht theatertheoretisch untermauert - gegen das idealistische Theater, das seine Wirkung nur über den Weg der Einfühlung und Identifikation des Zuschauers mit der Bühnenfigur suchte. Brecht suchte den Skandal - und er bekam ihn: Uraufgeführt wurde BAAL 1923 im Alten Theater" in Leipzig. Auf Intervention des Oberbürgermeisters wurde das Stück nach seiner Uraufführung allerdings gleich wieder abgesetzt.
Baal ist ein Künstler, ein Lyriker, ein Sänger. Er wird von einer snobistisch angehauchten Gesellschaft als Genie gehandelt, als exorbitantes Wesen, dessen poetsiche Erzeugnisse in die Warenwelt aus Hölzern, Tieren und Menschen eingereiht werden sollen. Baal will sich nicht einordnen lassen und stellt sich mit einem Affront gegen die Vereinnahmung durch einen Kunst- und Wirtschaftsbetrieb. Der absolute Vitalismus Baals verschreckt Mäzen und Kritiker. Baals Anliegen ist aber auch nicht die Kunst an sich; er dichtet relativ selten und häufig ist seine Lyrik der unmittelbare Ausdruck seines Lebensgefühls. Ihm geht es um das Leben selbst, um den Genuß. Baal nimmt sich, was da ist, und ist nicht genug greifbar, holt er es sich von der Straße. Er fordert - darin gleicht er seinem biblischen Namensvetter - Menschenopfer: Frauen ebenso wie Männer gehen an seiner Lebensgier zugrunde, können nicht Schritt halten beim Gang in die schwarzen Wälder. Baal selbst scheint das selbstgewählte Tempo beim Weg von den Höhen eines umschwärmten Menschen in die Niederungen der himmellosen Wälder nicht einhalten zu können. am 21. Mai 1998 im Großen Haus Aufführungsdauer: 2 Stunden 50 Minuten Eine Pause Aufführungsrechte: Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
Die Loungees
Baal als Sänger einer Band - das ist auch nur der Auftakt. Baal ist auf der Höhe des Erfolgs, andere arbeiten für und mit ihm, er ist Star des gutlaufenden Babylon. Bald ist er wieder allein, ohne Band, ein Balladendichter mit Guitarre, der tingeln geht. Die Musik der Loungees deutet mit dem eher düsteren Sound von Beginn an auf den kommenden Untergang. Ihre Musik sei, so ein Kritiker, wie der Soundtrack zu einem Film, der erst noch gedreht werden muß". Die Loungees - das sind Andrew Greif (E-Guitarre), Thomas Kahl (E-Guitarre), Patrick Pilsl (E-Piano) und Sybil Pilsl (Bass). Die Ulmer Band hat sich nicht erst für den Baal" gefunden, sondern spielt in dieser Konstellation bereits seit zwei Jahren zusammen. Zuvor haben die Musiker in anderen Besetzungen gespielt. Musik betreiben alle vier nebenbei - hauptberuflich" sind sie Maler. |