Christoph Willibald Gluck ORPHEUS UND EURYDIKE Azione teatrale per musica in
Premiere: 23. April 1998 im Großen Haus
Dauer ca. 1 1/2 Stunden (keine Pause) Wir danken dem Württembergischen Reisebüro für die Unterstützung der Produktion Erster Akt Orpheus beklagt den Tod seiner Gattin Eurydike. Die Umgebung hallt von seinen Schmerzenslauten wider. Sein Inner-Ich (Amor/die Liebe) befiehlt ihm, in den Hades hinabzusteigen, die ihm dabei drohenden Gefahren zu bestehen und seine Gattin Eurydike an die Oberwelt (ins Leben) zurückzuholen. Orpheus zweifelt zwar am Gelingen dieses Auftrages, ist jedoch entschlossen, sich den Prüfungen zu stellen. Zweiter Akt Die Furien verwehren Orpheus den Zutritt in den Hades. Orpheus bezwingt sie mit seinem Gesang und gelangt ins Elysium. Dritter Akt Eurydike folgt Orpheus auf dem Weg in die Oberwelt. Sie weiß nichts von dem Gebot, daß Orpheus sie auf diesem Weg nicht ansehen darf. Sie zweifelt an der Liebe ihres Gatten. Orpheus kann sich den Klagen nicht mehr verschließen und wendet sich zu Eurydike um. Sie entschwindet ihm endgültig. Orpheus kann sich mit dem dauernden Verlust Eurydikes nicht abfinden und ist entschlossen, sein Leben durch Selbstmord zu enden. Sein Inner-Ich (Amor) weist ihm den Ausweg: Die Liebe (Amor) verbindet Orpheus und Eurydike für alle Zeiten.
Klaus Rak
. Ranieri de´ Calzabigi
Eine Oper aus dem Zeitalter der Aufklärung Zwei Künstler, de Ranieri de' Calzabigi und Christoph Willibald Gluck, beide 1714 geboren, versuchen, über den Weg in eine vergangene Zeit, die eigene jüngste Vergangenheit abzustreifen. Ganz bewußt treten sie aus dem Dunkel der höfischen Konventionen hervor. Theater soll als etwas Miterlebtes wahrgenommen werden. Nicht der Sänger als glänzender Darsteller schematisierter, altbekannter und als solche gar nicht mehr durchlebter Gefühle, nämlich "Affekte", wird gefeiert, sondern der Zuhörer soll teilhaben an einem unmittelbaren Geschehen, einer erlebten Entwicklung. Gefühle sollen "echt" entstehen, überraschend kommen und mitreißen. Trotzdem soll der Zuhörer nicht in Sentimentalitäten versinken. Er soll Gefühle selbst an sich wahrnehmen, um das Theater mit der Aussicht zu verlassen, sich selbst erneuern zu können. Dafür fordert Calzabigi von sich, den Text auf kürzeste Formen zu bringen. In der Musik möchte er keine Schnörkel um des Gefallens Willen. Gluck läßt sich diese Forderung nicht zweimal vorlegen. Dieser Anspruch des Werkes hat mich dazu gebracht, eine neue Übersetzung für das Ulmer Theater herzustellen, da die vorliegenden Übersetzungen nicht direkt genug an dieser Neuerung der Schöpfer von Orpheus und Eurydike" interessiert sind, oder für unseren heutigen Sprachgebrauch veraltet wirken. Das Libretto zeichnet sich aus durch einen völligen Verzicht auf jegliche Wendung, welche nicht unmittelbar auf die Handlung oder das innere Geschehen der Personen Bezug nimmt. Herausgekommen sind dabei knappste Verse, die eine ungeheuerliche Konzentration aufweisen und, so klein" sie sind, eine Wucht enthalten, die ihresgleichen sucht. Auch da kann eine Übersetzung nur ein unvollkommenes Vehikel sein. Sei es durch Verzicht auf den Endreim oder durch Verzicht auf eine Klangschönheit bzw. Lautmalerei: Kompromisse lassen sich hier häufiger finden als im Original.
Die sogenannte Wiener Fassung" von 1762, welche in Ulm gespielt wird, war die erste aus dem oben beschriebenen Anspruch entstandene. Sie verkörpert dessen Verwirklichung sozusagen in Reinform. Zwölf Jahre später entstand für die Pariser Oper eine neue Fassung mit - und das ist typisch für Paris - vermehrten Tanzeinlagen, zum Teil völlig neu komponierten Rezitativen und veränderten Tonarten für einen Tenor als Orpheus, da dort - übrigens ebenso wie in Ulm 1998 - kein Kastrat für die Partie zur Verfügung stand. In unserer Aufführung ist die Partie des Orpheus mit einem Mezzosopran besetzt. Versuche, den Orpheus von einem Bariton singen zu lassen, ergaben eine Verschiebung der Persönlichkeit ins virile. Dem Jünglingshaften des verliebten Orpheus kommt eine Mezzosopranstimme weitaus näher. Es gibt kaum Arien für die Sänger. Jeder hat nur ein konventionelles Formstück, und das dient nicht dazu, die Stimme, sondern vielmehr die Stimmung darzustellen. Orpheus, der Meistbeschäftigte, hat zudem ein Strophenlied zu Beginn. Und auch dieses ist durchbrochen von Rezitativen und erscheint in dieser Form viel weniger als Lied, denn als Ausdruck seiner sich anstauenden Verzweiflung. Und - formal wunderbar gelöst - wenn Orpheus am Schluß der Oper, an symmetrisch entsprechender Stelle, seine berühmte Arie gesungen hat, macht er sich auf zum Selbstmord. Beidesmal rettet ihn die Liebe in Gestalt des Gottes Amor. Eines der zentralen Stücke des Werkes, das Duett zwischen Orpheus und Eurydike nach deren Begegnung, stellt die Isolierung der beiden bei gleichzeitig harmonischstem Musizieren in einer Vollkommenheit dar, wie wir sie später bei Mozart in seinen Ensembles wieder erleben. Nur in einem Punkt durfte auch Gluck nicht aus der Konvention: für einen höfischen Zweck mußte er der Tragödie eine glückliche Wendung zum Schluß geben. So durfte der Orpheus" nicht die erste Operntragödie der neueren Musikgeschichte werden. Der Chor, verwendet im Sinne der antiken Tragödie, tritt als vierte handelnde Person auf. Er führt den Zuhörer ins Werk ein, öffnet den Umweg über die Antike in die aufgeklärte Neuzeit. Thomas Mandl |